Das Weideverhalten von Ziegen

Das Weideverhalten von Ziegen

Merkblatt 17|02, Seite 1

Neue Erkenntnisse der Agrarforschung zum Weideverhalten von Ziegen

Die Agrarforschung versucht, genauere Kenntnisse über das Fressverhalten und die Milchleistung von Ziegen in Weidehaltung zu erlangen. Ein Überblick über die laufenden Forschungsarbeiten.
Mit freundlicher Genehmigung aus: La Chevre, Zeitschrift für Ziegenzüchter, Nr. 340, Mai/Juni 2017, Übersetzung aus dem Französischen von Dr. Angelika Scharnhölz
Gegenwärtig laufen diesbezügliche Untersuchungen vom Institut de l’Élevage (Versuchsstation auf der Domäne Le PRADEL in der Region Ardèche) und dem INRA (analytische Tests an der gemischten Forschungseinheit UMR Pégase in Rennes). Im Rahmen des Projekts CASDAR CAPHerb werden von der Versuchsplattform Patuchev – UE Ferlus in Lusignan und von PSDR Flèche Systemversuche durchgeführt; sie sollen ermöglichen, bei Weidehaltung den Grünfutterverzehr pro Ziege und seine Variationsfaktoren
(Zugangszeit, Angebotsmenge an Grünfutter, Art des Weidebestandes, Strategie der Eiweißergänzung, Verfügbarkeit von Wasser auf der Weide…) genauer beurteilen zu können. Denn die aktuellen Schwierigkeiten bei der Einschätzung der Futteraufnahme auf der Weide und der Substitutionsraten stellen in der Tat ein Handicap für die Weidehaltung dar.

Längere Fresszeiten bei kürzerem Weidegang
Es ist nicht einfach, das Fresshalten von Ziegen auf der Weide (Zeitpunkt und Dauer der Futteraufnahme, des Wiederkauens oder der Ruhephasen) genau zu verfolgen. Deshalb wurden die Beobachtungen seit 2015 mit den Messwerten eines Acczelerometers (Bewegungssensor; wird am Hals der Ziegen befestigt) gekoppelt. Die ersten Ergebnisse sind positiv, müssen aber noch untermauert werden. So belegen zum Beispiel die im INRA durchgeführten Beobachtungen, dass die Ziegen unter Zeitdruck (nur 4-6 Stunden Weidezeit pro Tag) die Fresszeiten verlängern (eine Mahlzeit = mehr als 95 % der Weidezeit), während Ziegen bei längeren Weidegängen zu mehr Mahlzeiten (2 bis 4) neigen und die effektive Zeit der Grasaufnahme verkürzen (75 bis 90 % der Weidezeit). Ziegen können also gut ihre Weideaktivität konzentrieren (bei Zeitdruck weniger, aber längere Fresszeiten)! Diese Versuche ermöglichen auch eine Qualifizierung der Milchleistung der Ziegen bei unterschiedlicher Weidedauer und unterschiedlichem Grünfutterangebot (Beweidungsdruck).

Merkblatt 17|02, Seite 2
Eiweißhaltiges Ergänzungsfutter während der Weidehaltung
Im Frühjahr 2016 wurde auf der Versuchsstation der Domäne „Le Pradel“ ein Versuch durchgeführt, um folgende Frage beantworten zu können: „Welche Strategie der Eiweißergänzung soll bei der Beweidung artenreicher Wiesen angewendet werden?“ Die Versuchsanordnung umfasste 116 Ziegen, die während der Studie ihren Laktationshöhepunkt erreichten. Je nach Weidebestand (monospezifisch/Raygras oder artenreich/u.a. Süßgräser, Leguminosen) und der durch das eiweißhaltige Ergänzungsfutter (800 g/Tag bei 11.9 % Gesamtstickstoffgehalt gegenüber 21.4 %) erreichten Eiweißzufuhr wurde die Herde in vier Versuchsgruppen eingeteilt.
Dieser Versuch wurde auf sehr homogenen, mit italienischem Hybrid – Raygras bestandenen (im Durchschnitt 15,2 % Gesamtstickstoffgehalt) Flächen und sehr heterogenen artenreichen (im Durchschnitt 14,3 % Gesamtstickstoffgehalt, je nach Parzelle und Saison 3 % bis 30 % Leguminosen) Umtriebsweiden durchgeführt, die mit Knaulgras, Rotklee und Rohrschwingel bewachsen waren. Die Herde wurde ausnahmsweise zweimal täglich (Anm.: sonst auf Le Pradel seit 2007) gemolken. Die erste Feststellung: Der Eiweißgehalt des Ergänzungsfutters und die Art des Weidebewuchses hatten keine Auswirkungen auf den Fettgehalt und den Eiweißgehalt der Milch, jedoch auf die Milchleistung: + 7 % Milch (235 g/Ziege/Tag) bei einem hohen Eiweißgehalt – und das unabhängig von der Art der Weide. Diejenigen Ziegen, die auf der Raygrasfläche weideten, sprechen stärker auf die Zuteilung eines eiweißreichen Kraftfutters (+ 317 g Milch/Ziege/Tag) an.

Ziegen sind auf artenreichen Weiden wählerisch
Der Eiweißgehalt des Ergänzungsfutters hat hingegen bei der Beweidung artenreicher Wiesen wenig Einfluss auf die Milchleistung. Denn Ziegen besitzen wohl die Fähigkeit, das Futterangebot zu sortieren. Sie können auf artenreichen Wiesen die eiweißreichsten Pflanzenarten auswählen und steigern so die Milchproduktion.
Diese Eigenschaft ermöglicht Ziegen, die ein Ergänzungsfutter mit niedrigem Eiweißgehalt erhalten, auf artenreichen Weiden eine vergleichbare Milchleistung zu erbringen wie beim Einsatz eines eiweißreichen Kraftfutters. Also ist der Einsatz eines Ergänzungsfutters mit zu hohem Eiweißgehalt auf
artenreichen Weiden unnötig.
Bei der Beweidung artenreicher Wiesen stellte man (mit Hilfe des Acczelerometers, s. Bild) außerdem längere Futteraufnahmezeiten als auf den Raygrasweiden fest: im Durchschnitt + 28 Min. pro Tag (bei 10 Stunden Weidezeit). Einige Beobachtungen von Züchtern bestätigen das wählerische Fressverhalten von Ziegen bei der Beweidung artenreichen Wiesen.
Solche Experimente stehen für das Frühjahr 2017 erneut auf dem Programm, um einige Hypothesen zu bestätigen und dabei auch eine neue Saison (die sich gegenwärtig hinsichtlich der klimatischen Bedingungen stark von der des Jahres 2016 unterscheidet) sowie neue artenreiche Weiden (hinsichtlich der Art des Weidebewuchses und der Weidezeit) zu berücksichtigen.

Merkblatt 17|02, Seite 3
Analytische Versuche zu einem systematischen Beweidungskonzept
Die Ergebnisse werfen die Frage auf, wie man diese Versuche hinsichtlich der Beweidungsstrategie interpretieren soll. Die Beweidung von Hybrid – Raygras und die Beifütterung eines eiweißreichen Ergänzungsfutters ermöglichen eine Optimierung der Milchleistung…, aber zu welchem Preis und mit welchen wirtschaftlichen Ergebnissen? Bei der Beweidung artenreicher Wiesen ist wohl ein Ergänzungsfuttermittel mit niedrigerem Eiweißgehalt angebracht… unter der Voraussetzung, dass es gelingt, die Leguminosen zu erhalten. Der Kompromiss, d. i. die Nutzung von Gras- und / oder Luzerneweiden und artenreichen Weiden zu verschiedenen Zeitpunkten der Weidesaison, scheint eine interessante Lösung zu sein. Damit kann man den Anforderungen an die Fütterung einer Ziegenherde entsprechen und gleichzeitig den Düngerbedarf begrenzen und dem Züchter mehr Flexibilität verschaffen. Man darf dabei natürlich nicht die integrierte Parasitenkontrolle vergessen, die der Schlüsselfaktor für die Beherrschung solcher Fütterungssysteme ist.
Diese nachhaltige Bewirtschaftung ist auf der Versuchsstation von LE PRADEL und bei PATUCHEV eingeführt worden und wird dort seit mehreren Jahren beobachtet. Es werden drei Ansätze geprüft: Stärkung der natürlichen Abwehrkräfte des Wirtstieres (Ziege), Regulierung der Infektionsquelle und Regulierung der Population der erwachsenen Würmer. Dabei werden auch die wirtschaftlichen Anforderungen und die Arbeitsbelastung des Züchters berücksichtigt.
Die Einbeziehung dieser auf Herdenebene durchgeführten analytischen Versuche ermöglicht die Bewertung von relevanten Verfahren, die für die effiziente Durchführung der Weidehaltung von Ziegen geeignet sind und den Erwartungen der Züchter entsprechen. Mit den in dem vorliegenden Artikel vorgestellten verschiedenen Versuchsanordnungen verfügt die französische Ziegenbranche über diese Möglichkeit. Die Ergänzung durch regionale Züchter- und Beraternetzwerke (REDCap und PEP caprin) erleichtert den Informationsaustausch mit den Ziegenzüchtern.

Abkürzungen:
UMR Pégase = gemischte Forschungseinheit der Fachgebiete Physiologie, Umwelt und Genetik für Tierbiologie und Haltungssysteme
Patuchev = Versuchsplattform zur Entwicklung nachhaltiger Haltungssysteme für Milchziegen
UE Ferlus = Versuchseinheit „Futter, Umwelt, Wiederkäuer“ CASDAR Sonderkonto „landwirtschaftliche und ländliche Entwicklung“
CAPHerb = ein CASDAR – Projekt, das Ziegenzüchter zur stärkeren Valorisierung von Grünfutter (als Weidefutter oder konserviert) anregen soll
PSDR Flèche = Projekt zur Unterstützung der Nachhaltigkeit der Milchziegenbranche in der Region „Grande
Ouest“ durch stärkere Grünfutternutzung
REDcap = Versuchs- und Entwicklungsnetzwerk für die Ziegenbranche
PEP Caprin = regionale Vereinigung zur Organisation der Forschungs- und Versuchsarbeiten für die wichtigsten Herausforderungen der Ziegenbranche

Merkblatt 17|02, Seite 4

Eine Herde in der Dordogne mit maximaler Weidehaltung

Stéphanie Kaminski ist Milchlieferantin in der nördlichen Dordogne. 2016 produzierten ihre 150 Ziegen bei Weidehaltung 147 000 Liter Milch (d.i. 980 l/Ziege) mit einem Fettgehalt von 37,4 g/kg und einem Eiweißgehalt von 32,7 g/kg. Nach der Ablammsaison im März gehen die Ziegen auf die Weide. Im April nutzen sie die Weiden mit Welschem Weidelgras und Inkarnatklee. Anschließend beweiden sie bis Mitte Juli eine Mischung aus Wicke und Hafer (Aussaatstärke: Wicke 90 kg, Hafer 70 kg). Durch die Kombination der verschiedenen Aussaattermine im Herbst und Frühjahr kann eine maximale Verfügbarkeitsdauer dieses Grünfutters erreicht werden.
Während des Sommers weiden die Ziegen auf Futtersorghum (wurde nach dem Umpflügen einer mit Wicke und Winterhafer bestandenen Fläche angesät), ergänzt durch die Verfütterung von Luzerne (von einer vom Betrieb entfernt gelegenen Parzelle) zum Ausgleich der Ration. In der Regel wird jede Parzelle dreimal pro Jahr von den Ziegen beweidet.

Täglich zwei-bis dreimal Weidegang
Dieser Zuchtbetrieb, auf dem die Ziegen seit 1995 Weidegang haben, hat den Parasitenbefall „in den Griff“ bekommen. Einmal pro Monat wird eine Kotuntersuchung durchgeführt. Das Konzept der Weideführung (und die Parasitenkontrolle während der Weidesaison) beruht auf der Anwendung des Systems der Portionsweide auf den alljährlich gepflügten Parzellen (einjährige Futterpflanzenkulturen), der Fraktionierung der Grünfuttermahlzeiten während des Tages (zwei bis dreimaliger Weidegang pro Tag) und der Beweidung der hohen Futterpflanzenkulturen (Sorghum, Wicke – Hafer). Das Management der Futterumstellung – beim Weideauftrieb und beim Wechsel der angebotenen Grünfutterart – ist für dieses Schema von essentieller Bedeutung.
Diese Methode entspricht den Anforderungen der Züchter, aber man muss den täglichen Zwang zum Umtreiben der Ziegen akzeptieren. Doch Stéphanie stellt fest: „Die Betreuung der Ziegen im Stall erfordert auch Zeit und ist weniger angenehm als über die Wiesen zu gehen.“ Mit einer Futterautonomie von 75 Prozent und einer starken Aufwertung des Weidegrases (Futteranteil in der Ration: 70 %, das entspricht 382 g Kraftfutter und Trockenfutter / l) werden die Futterkosten auf 345 €/1000 l gesenkt, und so eine Vergütung von 320 € pro 1000 Litern ermöglicht.
aus: LA CHÈVRE No. 340, Mai/ Juni 2017: ; Charles Drouot Dordogne Conseil Élevage / Tierzuchtberatung) u. Jérémie Jost (IDELE = Institut de l’Élevage) Übersetzung: Dr. Angelika Scharnhölz