Der Wolf ist keine gefährdete Art mehr

Der Wolf ist keine gefährdete Art mehr

Kommentar in der Sächsischen Zeitung vom 04.02.2023 von Sebastian Beutler

Im Kreis Görlitz soll jetzt ein Wolf geschossen werden. Doch das löst nicht den Konflikt zwischen Naturschutz und Mensch. Dabei gibt es gute Vorbilder.

Sachsens im Moment prominentester Wolf lebt noch. Das Tier bei Löbau in Ostsachsen ist zwar zum Abschuss freigegeben, aber es findet sich bislang niemand, der das Urteil der Behörden vollstreckt. So beunruhigt dieser Wolf nicht nur die Menschen in der unmittelbaren Nähe weiter, sondern bestimmt auch die politische Diskussion in der Landeshauptstadt.

Die CDU will den Schutzstatus des Wolfes heruntersetzen, um seine Verbreitung in Sachsen einzudämmen, die AfD ist sowieso dafür, die SPD auch, nur die Grünen fremdeln noch mit diesem Gedanken.

Am Ende kommt es auf sie nicht an, weil sie es allein nicht entscheiden können. Der Wolf ist längst ein bundes- und euro­paweites Thema. Erst vor Weihnachten scheiterte ein Vorstoß der Schweiz in Brüssel, die Berner Konvention so zu ändern, dass der Schutzstatus des Wolfes von „streng geschützt“ auf „geschützt“ heruntergestuft wird. Am Ende stimmten nur sechs Länder mit der Schweiz, die gesamte EU dagegen. Die Umweltminister der EU bekräftigten diese Position erst in dieser Woche.

Damit sind jährliche Abschussquoten zunächst vom Tisch.

Die politische Großwetterlage steht ziemlich diametral der Stimmung in der Bevölkerung entgegen. Vor allem in den Gebieten, wo die Menschen Kontakt mit dem Wolf haben. Oder besser mit dem, was er anzurichten imstande ist. Der Problemwolf von Löbau musste erst 24 Tiere töten, ehe sein Abschuss angeordnet wurde. Der Eigentümer des Damwildgeheges hatte sich an die geltenden Bestimmungen gehalten: Ein fast zwei Meter hoher Zaun umfriedet das Gehege, ein Untergrabschutz existiert ebenso. Die

20.000 Euro dafür zahlte der Steuerzahler, zuletzt war dem Mann sogar vorgeschlagen worden, eine Stromlitze entlang des Zaunes zu ziehen für

30.000 Euro. Auch dafür wäre der Steuerzahler aufgekommen.

Doch wofür der ganze Aufwand, wenn er den Verlust der Tiere und damit enormen materiellen Schaden für die Besitzer nicht verhindern kann? So geht es auch vielen Schaf- und Ziegenzüchtern sachsenweit. Sie werden von der Politik gedrängt, umfangreiche Hütemaßnahmen zu ergreifen, um ihre Herden vor dem Wolf zu schützen. Doch die Liste der gerissenen Schafe im vergangenen Jahr in Sachsen ist lang und längst nicht mehr auf die Kreise Görlitz oder Bautzen begrenzt. Auch Nordsachsen und Meißen tauchen da auf, das Leipziger Land und selbst Dresden. Insgesamt rissen die Wölfe 555 Tiere, verletzten 115, weitere 94 sind vermisst. Zusammen beklagen die Züchter den Verlust von 764 Tieren. Die Haltung von Weidetieren rechnet sich unter diesen Bedingungen immer weniger.

Mindestens genauso schwerwiegend ist die Sorge von Menschen, direkt Opfer des Wolfes zu werden. Natürlich schwingt da der alte Märchenglaube mit, dass der Wolf nicht nur kleine Geißböcke und Großmütter frisst, sondern auch auf andere Appetit hat. Zwar können die Wolfexperten mit guten Argumenten erklären, dass die Gefahr gering ist, von Wölfen angegriffen zu werden. Kein Mensch ist bislang in Sachsen zu Schaden gekommen. Doch die Familie, die nachts die Wölfe an der Neiße heulen hört, wird sich doch fragen, ob sie am nächsten Tag die Kinder zum Spielen in den Wald schicken kann. Da brechen tief sitzende Urängste wieder auf.

Dabei ist die Wiederansiedlung des Wolfes einer der größten Erfolge des Natur­schutzes in den letzten 30 Jahren. Der Wolf galt seit dem 19.

Jahrhundert als ausgerottet in Deutschland und Mitteleuropa, erst die Einwanderung aus den Weiten Eurasiens beendete diese Zeit. Zunächst nur in den Grenzregionen Deutschlands zu Polen. Seitdem vermehren sich die Tiere und besiedeln das ganze Land und darüber hinaus Westeuropa. Der Wolf hat eben keinen natürlichen Feind. Dieser Tage verzeichnete auch Baden-Württemberg die erste Wölfin im Grenzgebiet zu Frankreich. Acht Ziegen tötete sie. Der strikte Schutz war so lange sinnvoll, wie die Tierart gefährdet war. Doch mindestens in Teilregionen Deutschlands ist das nicht mehr der Fall. Über 30 Rudel sind allein in Sachsen gezählt worden. Deswegen ist es nicht nur richtig, jetzt die Debatte zu führen, sondern sie muss am Ende auch den Konflikt zwischen Naturschutz und Mensch befrieden. Dabei geht es nicht um die erneute Ausrottung des Wolfes. Das ist nicht nötig und vermutlich auch nicht möglich. An geeigneten Vorsorgemaßnahmen von Tierzüchtern wird auch in Zukunft kein Weg vorbeiführen. Aber zugleich können skandinavische Länder wie Schweden oder Norwegen ein Vorbild sein, wo jährlich Abschussquoten für den Wolf festgelegt werden, von Wissenschaftlern begleitet und obwohl auch in diesen Ländern die Berner Konvention mit dem strikten Wolfsschutz gilt. Diese Länder gehen trotzdem diesen Weg, sicher­ nicht aus purer Bosheit, sondern weil es ein Kompromiss zwischen dem Schutz des Wolfes einerseits und dem Erhalt der Kulturlandschaft andererseits darstellt.

In Sachsen musste der Görlitzer Landrat Stephan Meyer sich auf die Wolfs­managementverordnung bei seiner Abschussanordnung gegen den Löbauer Problemwolf beziehen, die Entscheidung lag beim Umweltminister.

Das sächsische Jagdgesetz ist hingegen eine stumpfe Waffe, um selbst diesen unrühmlichen Vertreter der Wolfsgattung zu schießen.

Von Sebastian Beutler