Deutschland ist ein Entwicklungsland

Deutschland ist Entwicklungsland

Möglichkeiten für die Vermarktung von regionalem Schafkäse vorhanden

Im Mai dieses Jahres wird in Hungen, Kreis Gießen, eine Schaukäserei mit Gastronomie und Laden eröffnet. Zudem richtet die Stadt, in der alle zwei Jahre das Hessische Schäferfest veranstaltet wird, ein Informationszentrum zu Schäferei und Landschaftsschutz ein. Schafkäse wird es aus der neuen Käserei allerdings nicht geben, es wird dort nur Kuhmilch verarbeitet. Der Grund: Es gibt in der Region keine Lieferanten für Schafmilch. Dabei bietet das Hungener Projekt selten gute Voraussetzungen zur Vermarktung. Es gibt hier einen Abnehmer und Verarbeiter und neun große Rewe-Märkte stehen für die Vermarktung bereit. Doch wie gewinnt man Lieferanten, die in die Produktion von Schafmilch investieren, und welchen Erzeugerpreis müsste man ihnen bieten? Vergangene Woche trafen sich die Beteiligten, um die Chancen des Projektes zu diskutieren. Michael Schlag, Butzbach, war für das LW dabei und berichtet im Folgenden.

Sebastian Schäfer, der seit über 25 Jahren in Marienheide, Bergisches Land, Schafmilch produziert, dort zu Frischprodukten verarbeitet und vermarktet, berichtete über seine Erfahrungen. Schäfer ist auch Sprecher der kürzlich gegründeten „Vereinigung der Schaf- und Ziegenmilcherzeuger“.

Markt für Schafmilchprodukte in Deutschland vorhanden

„Wir haben in Deutschland einen Markt für Produkte aus Schafmilch, aber wir überlassen ihn den Importeuren,“ sagt Schäfer. Die Nachfrage übersteige bei weitem das Angebot, er selbst hält 200 Milchschafe, produziert 60 000 Liter Milch pro Jahr, aber „wir können nur 60 Prozent dessen liefern, was bestellt wird.“ Wegen begrenzter Arbeitskapazitäten für die Direktvermarktung setzte Schäfer von Beginn an auf die Kooperation mit dem Großund Einzelhandel, der heute etwa 80 Prozent der Produktion seiner Hofkäserei aufnimmt. Diese mehrstufige Vermarktung habe sich bewährt, sie verringere die Dreifachbelastung durch Produktion, Verarbeitung und Vermarktung und „es ist nicht so, dass der Handel einem die Butter vom Brot nimmt,“ wichtig sei nur: „Jeder muss seinen Job gut machen.“

Schafmilch kommt aus Spanien, Griechenland, Italien und Frankreich

Schäfereibetriebe, die die Hungener Schaukäserei beliefern, würden noch einen Schritt weiter gehen und ihre Milch nicht selber verarbeiten, sondern – nicht anders als die meisten Kuhbetriebe – den Rohstoff ab Hof verkaufen. Ein Modell, dass es in Deutschland heute fast nicht gibt, denn die wenigen, die in Deutschland Schafe melken, verarbeiten die Milch in der eigenen Hofkäserei. Für Milchschafhalter in Deutschland gebe es nur vier abnehmende Molkereien in Bayern und Österreich, so Schäfer. Schafmilch als Rohstoff ist eigentlich kein Handelsgut, geschätzt gebe es in Deutschland etwa 13 000 Milchschafe mit einer Produktion von etwa 4 Mio. kg Schafmilch, das ist weit unter einem Prozent der EUProduktion. Als Exporteur von Schafmilch trete vor allem Spanien auf, Hauptproduzenten daneben sind Griechenland, Italien und Frankreich, aber „wer Schafmilch sucht, der geht nach Spanien.“ Der Verkauf von Rohmilch an eine Molkerei verlangt indes eine transportwürdige Menge: „24 Tonnen zu transportieren ist kein Problem,“ sagt Schäfer, „300 Kilogramm schon.“ Schafmilch auch in Deutschland zur Belieferung einer Molkerei zu produzieren, hält Sebastian Schäfer nicht für abwegig. Der Vorteil liegt in der Arbeitsteilung: „Ich kann mich ganz auf die Milcherzeugung konzentrieren und damit habe ich auch genug zu tun.“ Allerdings: Bei der reinen Milchproduktion ohne eigene Verarbeitung „muss ich mit größeren Mengen einsteigen und mehr Tiere melken, um das gleiche Einkommen zu erzielen.“

Eine gute Genetik der Milchschafe wichtig für wirtschaftliche Produktion

Unter den Milchschafrassen favorisiert Sebastian Schäfer eindeutig die französischen Lacaune. Sie zeigten eine bessere Bemuskelung als die Ostfriesischen Milchschafe und böten damit auch die bessere Vermarktung von Lämmern und Altschafen und „in Frankreich haben wir das, was wir in Deutschland nicht haben – eine konsequente Zucht.“ Unbedingt solle man Milchschafhaltung mit guter Genetik beginnen: „Ein gutes Milchschaf kostet 200 Euro, aber die bessere Milchleistung bringt das Geld wieder ein.“ Mit billig eingekauften Tieren schnell eine Herde aufzustellen, „das geht immer nach hinten los.“ Eindringlich warnte Schäfer davor, sich die Wirtschaftlichkeit schönzurechnen. „Die Milchmenge, die der Zuchtbetrieb angibt, ist nur eine theoretische Leitung“ und keinesfalls gleichzusetzen mit der tatsächlichen Menge im Melkbetrieb. Man könne nicht damit rechnen, das genetische Leistungsvermögen in der Praxis immer auszuschöpfen. Schäfer empfiehlt, immer mit Reserve zu kalkulieren und am Anfang nicht mehr als 250 kg Milch pro Jahr zu erwarten. Zur Vorsicht rät er auch bei der Kostenkalkulation. Zwar sei es richtig: Schafe sind genügsam, sie gelten als „Pfennigsucher“, die auch auf kargen Weiden ihr Auskommen finden – „aber sie haben dann keine Milchleistung.“ Erste Regel für die Fütterung sei vielmehr „reichlich bestes Grundfutter“, mit Heu aus der Landschaftspflege könne man von Milchschafen keine Leistung erwarten.

Lamm ist bei der Milchproduktion ein Kostenfaktor

Ein ganz wesentlicher Unterschied zur Haltung von Fleischschafen ist die Sicht auf die Lämmer – sie sind hier kein Produkt, sondern ein Kostenproblem, denn „das Lamm konkurriert mit der Käserei um die Milch“. So teuer könne man ein Lamm nie verkaufen, wenn es bei der Mutter die Milch wegtrinkt, aus der eigentlich Käse hergestellt werden sollte. Lämmeraufzucht könne auf einem Milchschafbetrieb – umso mehr bei hohen Öko-Preisen – nie kostendeckend sein, und nur „wer viel Geld ausgeben will, der zieht seine Lämmer auf.“ Der Schäferhof in Marienheide hat für seine Lämmer zwei Lösungswege gefunden: Zum einen werden die Schafe nicht jedes Jahr gedeckt, sondern mehrere Jahre durchgemolken, wodurch sich die Zahl der Lämmer auf 50 pro Jahr reduziert. Damit sei nicht nur die Lammsaison stressfreier geworden, das System sei auch gut für die Schafe, entstehe die Hälfte der Gesundheitsprobleme doch stets in der letzten Phase der Trächtigkeit und rund um die Lammung. Anders beim Durchmelken: „Ein Schaf, das täglich seine anderthalb Liter Milch gibt, kann das jahrelang ohne Probleme tun.“ Die Lämmer, die auf dem Betrieb geboren werden, gehen früh nach der Geburt an einen konventionellen Betrieb, der sie mit Kuhmilch oder Milchaustauscher aufzieht. Eigene Lämmeraufzucht betreibt der Schäferhof nur für die Nachzucht von seinen besten Milchschafen. Mehrjähriges Durchmelken der Schafe helfe im Übrigen sehr bei der Vermarktung, denn es schafft die Grundlage für kontinuierliche Lieferfähigkeit. Bei saisonaler Ablammung der ganzen Herde dagegen „muss ich den Kunden drei Monate erklären, warum es keine Milch gibt – und anschließend zwei Monate, dass wieder Milch da ist.“

Hungener Schaukäserei hat Kapazitäten für Schafmilch frei

Im Grunde steht alles bereit für heimische Schafmilch und Schafkäse aus Hungen. Auch drei Schäfereibetriebe nahmen an dem Treffen in Butzbach teil: Andreas Schmid aus Münzenberg, Reinhard Heintz, Vorsitzender des Hessischen Verbandes für Schafzucht und -haltung aus Langgöns, sowie Sven und Kerstin Westphal aus Niedersachsen. Sie haben bereits eine Milchschafhaltung in Northeim und könnten auf dem Hofgut Marienborn bei Büdingen eine größere Schafherde in den Ackerbaubetrieb integrieren. Für Betriebsleiter Christoph Förster wäre es eine ideale Lösung für die Verwertung des Kleegrases im Öko-Betrieb und zur Gewinnung von Schafmist als Dünger für den ansonsten viehlosen Naturlandbetrieb. Flächen als Futtergrundlage gäbe es gemeinsam mit einem Nachbarbetrieb genug, sagt Förster. Die Hungener Schaukäserei hätte neben den weit größeren Mengen Kuhmilch auch Verarbeitungskapazitäten für Schafmilch frei, so Projektleiter Reiner Wechs, und „wir haben den Vorteil, dass wir die Vermarktung in den eigenen Reihen haben“, sagt Volker Treude, Geschäftsführender Gesellschafter von insgesamt neun Rewe-Märkten in der Region.

Schafprodukte stehen hoch im Kurs bei den Verbrauchern

Nach Jahren geringen Ansehens stünden Schafprodukte heute beim Verbraucher hoch im Kurs, sagt Treude, regionale Herkünfte ebenso, aber „was uns fehlt ist die Schafmilch.“ Anders als bei der Kuhmilch, die die Hungener Käserei als Biomilch von der Upländer Bauernmolkerei aus Nordhessen beziehen wird, werde es bei den kleinen Mengen Schafmilch aber keinen Sinn machen, sie über weitere Strecken anzuliefern. Bio-Berater Leo Gärtner aus Rockenberg ist deshalb überzeugt: „Es muss regional sein“, und Volker Treude ergänzt: „Im Moment geht regional vor Bio.“

Kosten von 1,60 bis 1,80 Euro pro Liter Schafmilch

Es gibt einen Vermarkter, einen Abnehmer und Verarbeiter und „alles spricht dafür, dass hier was möglich ist,“ meint Sebastian Schäfer. Allerdings – zu welchem Erzeugerpreis? Der Blick auf den Marktpreis für abgelieferte Schafmilch zeigt extreme Unterschiede bei den Auszahlungspreisen innerhalb Europas. Der niederländischen Erzeugergemeinschaft „Mecone“ sei es immerhin gelungen, durch Bündelung des Angebotes ihren Erzeugerpreis auf 1,40 Euro pro kg zu halten, was aber immer noch zu niedrig sei, so Sebastian Schäfer, und „man kann auch in Deutschland nicht für 1,40 Euro Schafmilch erzeugen.“ Er nimmt als Kosten für die Erzeugung von Schafmilch 1,60 bis 1,80 Euro pro Liter an. Bei Ablieferung an die Molkerei muss der Milchverkauf diese Kosten unmittelbar wieder einspielen, wogegen bei eigener Verarbeitung der Gewinn erst durch die Veredlung entsteht, sagt Schäfer: „Das Geld wird in der Käserei verdient und im Stall wieder ausgegeben.“ Eine Planungsrechnung, die Sven und Kerstin Westphal bei der Bio-Unternehmensberatung Irene Leifert machen ließen, kommt für die Milchschafhaltung ohne eigene Käserei zu dem Ergebnis, dass „bei einem Verkauf der Schafmilch ein Preis von über 1,85 Euro pro kg Milch erzielt werden muss,“ das gilt für die Abgabe direkt ab Hof. Volker Treude, Rewe, dessen Unternehmen mit der Marke „Landmarkt“ bereits stark in der hessischen Direktvermarktung engagiert ist, gab indes zu bedenken „was ist, wenn der Kunde den Preis nicht akzeptiert?“ Reiner Wechs meint, mehr als 2 Euro pro Liter sei für Schafmilch nicht zu erzielen. Sebastian Schäfer warnte indes, mit geschätzten Zahlen zu handeln, alle Beteiligten müssten ihre Karten auf den Tisch legen, denn am Ende „muss jeder bei dem Projekt zufrieden sein.“

Michael Schlag, Butzbach,  LW 2/2013